Steffen Anton, 18.03.2024
Reason, das englische Wort für „Vernunft“, ist eine Science-Fiction-Kurzgeschichte des russisch-amerikanischen Autors Isaac Asimov. Es kann in seiner deutschen Übersetzung jedoch auch „Grund“ bedeuten. Das passt in meinem Fall ganz wunderbar. Die Geschichte ist nämlich in gewisser Hinsicht der Grund für vieles, was in meinem Leben von Bedeutung ist, was ich gern tue und mit dem ich mich beschäftige. Was es damit auf sich hat, möchte ich Euch an dieser Stelle berichten.
Schauen wir zurück in das Jahr 1996: Ich war in der elften Klasse, und der typische Teenagerkram schien für mich noch weit entfernt. Stattdessen bewegte ich mich lieber mit Captain Picard durch
ferne Welten. Meine Freizeit verbrachte ich eher vor dem PC als im Jugendtreff. Ich war das, was man damals abfällig und heute ehrfürchtig als Nerd bezeichnete.
Im Englischunterricht bekamen wir von unserem Lehrer eines Tages den Auftrag, ein Medium zu erschaffen. Das konnte eine Zeitung sein, ein Hörspiel oder auch
ein kurzer Film. Gemeinsam mit einigen anderen Gleichgesinnten der Klasse entschied ich mich für letzteres. Wie bereits angedeutet, war Star Trek damals bei uns sehr angesagt,
daher war uns klar, dass es in diese Richtung gehen würde. Unseren anfänglichen Plan, ein Kapitel aus Tolkiens „Der Herr der Ringe“ zu verfilmen, gaben wir aus sicherlich
nachvollziehbaren Gründen schnell auf. Mein Kumpel Martin hatte schließlich die Idee, eine Kurzgeschichte von Isaac Asimov zu verwenden, welche er gerade gelesen hatte: „Reason“. Dabei geht
es um einen Roboter auf einer Raumstation in der Zukunft, der plötzlich ein Bewusstsein entwickelt. Da sich die Handlung hauptsächlich in einem Raum abspielt, war das Projekt auch für uns
siebzehnjährige Schüler wohl ganz gut zu realisieren. Als Location wählten wir den Hobbykeller von Thomas, der ebenfalls in unserer Filmgruppe war. Dort war ein Raum, der sich gut eignete. Sogar
ein PC war dort aufgebaut, welcher uns noch gute Dienste leisten sollte.
In den Osterferien war es soweit, die Dreharbeiten konnten beginnen. Martin hatte zuvor die Kurzgeschichte in ein Drehbuch mit Storyboard adaptiert und in die englische Sprache übersetzt. Als wir im Raum angekommen waren, stellten wir fest, dass dieser doch einige Einschränkungen aufwies. Zum Beispiel war da ein Waschbecken, welches keinesfalls zu sehen sein dürfte. Für eine Szene, in der die Protagonisten durch eine Art Fenster in den Weltraum schauen, hatte Martin ein großes Stück Pappe schwarz angemalt, mit weißen „Sternentupfern“ versehen und es anschließend mit durchsichtiger Folie umwickelt. Dieses wurde von uns mittels Tesa-Film an der Wand befestigt.
Den kompletten Tag waren wir mit der Aufnahme der einzelnen Szenen beschäftigt, wobei sich vor allem unser Freund Jörg in der Rolle des Roboters QT als wahres Schauspieltalent entpuppte. Im Hintergrund spielten wir mittels Kassettenrekorder in Dauerschleife ein surrendes Geräusch ab, welches das Flair einer Raumstation vermitteln sollte. Gelegentlich gab es noch Einspielungen von (Film-)Musik, die ebenfalls „live“ vom Band kam. Man muss dazu wissen, dass alles mit einer einfachen Videokamera gefilmt wurde und auch kein separates Gerät zum Schneiden vorhanden war.
Für den Abspann filmten wir einfach Thomas' Nadeldrucker beim Ausdrucken der Credits. Die besagte Raumstation wurde zu Beginn des Films kurz eingeblendet, und war nichts anderes als eine Szene aus „Star Trek: The Next Generation“. Die musikalische Untermalung borgten wir uns ebenfalls von der Serie. Gut, dass Paramount nichts davon mitbekommen hat. Am späten Nachmittag waren die Aufnahmen beendet und wir bekamen das Ergebnis einige Tage später zu sehen. Jörg, der auch Besitzer der Kamera war, hatte so gut es ging die Szenen zusammenkopiert, und das Werk wurde im Unterricht präsentiert. Mit dem Film wurde unser Ruf als strebsame Außenseiter nochmals untermauert, unser Lehrer jedoch war begeistert, und wir alle wurden mit 15 Punkten belohnt.
Nach unserem Abitur sah es zunächst so aus, als wäre es nun vorbei. Doch vor allem Jörg und ich waren im „Reason“-Fieber und uns kreisten Pläne für eine mögliche Fortsetzung in den Köpfen. Ich wusste auch schon, wie diese Fortsetzung heißen würde: „Reason 2 – QT's Awakening“! Das von mir entworfene Logo dieses fiktiven Filmtitels hatte ich bereits zu Schulzeiten fleißig auf alle Bänke gekritzelt, ohne dass es den dazugehörigen Film gab. Ende 1997 machte ich mich schließlich daran, ein Drehbuch zu schreiben. Die Story musste zum Namen passen, soviel war klar. Also musste der Roboter QT, um den es im ersten Teil gegangen war, deaktiviert worden sein, um dann irgendwie wieder zu „erwachen“. Daher handelte meine Story davon, dass QT begonnen hatte, verrückt zu spielen und Menschen anzugreifen, und daraufhin zwangsweise abgeschaltet wurde. Ein Mitglied der Crew hat ihn jedoch aus Rachsucht reaktiviert und nun läuft er mordend auf der Station herum. Am Ende kommt es noch zu einer von QT veranlassten Zeitreise in das Jahr 1997, wo er endgültig die Weltherrschaft an sich reißen will. Keine Frage, ich war damals großer Fan von „Terminator“ und Konsorten, würde jedoch für meinen Plot sicherlich keinen Autorenpreis einheimsen. Ich hatte das Skript jedoch bewusst relativ kurz und simpel gehalten, da wir den Film auf meiner Geburtstagsfeier im Februar 1998 realisieren wollten. Relativ spät abends gegen 23:30 Uhr begannen wir im Haus meiner Eltern mit dem Dreh, während diese ein Stockwerk höher bereits friedlich schliefen. Leise zu sein war also die Devise, was uns jedoch aufgrund einiger zuvor konsumierter alkoholischer Getränke nicht immer gelang.
Der Film selbst geriet aus mehreren Gründen wesentlich dilettantischer als Teil eins. So improvisierten wir eine Leiche schlicht mit einem Bettlaken, Schuhen und einer Menge Ketchup. Und Martin spielte in Ermangelung von Darstellern gleich zwei Rollen. Zu diesem Zeitpunkt störte mich das jedoch wenig, vielmehr war ich froh, dass meine Idee überhaupt umgesetzt wurde! Gegen 01:30 Uhr war dann alles im Kasten und irgendwie hatte der lustige Dreh doch auch erheblich zum Gelingen meiner Feier beigetragen. Am darauf folgenden Tag trafen wir uns zum Schneiden des Materials. Der Vor- und Abspann wurde dieses Mal direkt vom Computermonitor abgefilmt, hierzu hatte ich eigens Bilder mit Text in der Schriftart von "Star Trek: The Next Generation" entworfen, welche als Slideshow abliefen. Im Hintergrund ließen wir Musik aus dem PC-Spiel „Das schwarze Auge: Schicksalsklinge“ laufen, und im Zusammenspiel wirkte das einigermaßen professionell. Gut, dass die Firma Attic Software davon nichts mitbekommen hat. Beim Schneiden fiel uns auf, dass Jörgs Kamera immer wieder einmal Aussetzer gehabt hatte. Das Bild wurde teilweise schwarzweiß und stellenweise verschwand es komplett. Insgesamt ist „Reason 2“ somit kaum anschaubar, was ich schade finde. Aber dennoch, es sollte weitergehen!
Jörg und ich waren erneut die treibenden Kräfte, und es dauerte nicht lange, bis ich wieder eine Idee hatte. Die Story war dieses Mal noch verrückter als die des zweiten Teils: QT vernimmt am Ende des Films die Ankündigung des Off-Sprechers, es werde keine Fortsetzung geben. Nun will er alle Beteiligten vom Gegenteil überzeugen, da das Ende der Serie seinen Tod bedeuten würde. Der Arbeitstitel war daher „Reason 3 – The Lost Script“. Trotz der guten und witzigen Idee passierte jedoch erst einmal eine Weile lang nichts. Nach Abitur und Zivildienst hatte es uns alle in verschiedene Richtungen verschlagen. Zudem begann ich langsam, über den Nerd-Teller hinaus zu blicken und mich in Diskotheken herumzutreiben. Zwar war „Reason“ aufgrund der neuen Möglichkeiten jetzt auch im Internet vertreten (meine allererste Email-Adresse lautete Reason@t-online.de!) und hatte einen Club nach sich gezogen, dem eine beträchtliche Anzahl von Leuten aus ganz Deutschland und sogar Österreich angehörten, aber „Reason 3“ lag nach wie vor auf Eis.
Im August 1999 kam jedoch Bewegung in die Sache und ich schrieb ganz spontan ein Drehbuch, basierend auf bereits existierenden Story. Ich schickte es an alle Beteiligten und erhielt ein positives Feedback. Es dauerte jedoch bis nach Weihnachten, bis unser aller Zeitplan ein gemeinsames Projekt zuließ. Martin hatte sich vorab wieder ein richtiges Storyboard erstellt, ähnlich wie beim ersten Teil. Das ließ mich auf ein gelungeneres Projekt hoffen als bei „Reason 2“. Es gab dieses Mal mehrere Drehorte, da QT sich jeweils zu Fuß aufmacht, die Macher aufzusuchen und zu überzeugen. Während dieser langen Wanderungen sollte „I'm walking“ von Fats Domino laufen. Zu Beginn des Films hatten wir eine aufwendige Kamerafahrt eingebaut, indem unser Kameramann Thomas in einem Handwagen über unseren Hof geschoben wurde. Am Ende dieser Fahrt sind zwei Gummistiefel zu sehen. Diese Szene hatte ich in ähnlicher Form bei „Top Secret!“ gesehen und wollte sie unbedingt im Film haben. Am Ende des Films tritt QT dann Jörg gegenüber, der ihn ja verkörpert. Durch dieses Paradoxon bekommt der Roboter einen Kurzschluss und fällt tot um.
Martin digitalisierte die Aufnahmen anschließend an seinem Rechner, um den Film zu schneiden. Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen, selbst heute noch. Das Intro ist mit Musik aus „Braveheart“ unterlegt. Gut, dass Mel Gibson davon nichts mitbekommen hat!
Da QT nun tot war, würde es dieses Mal wirklich keine Fortsetzung geben, oder? Wir machen einen Zeitsprung ins Jahr 2003. Ich war mittlerweile von Thüringen nach Süddeutschland gezogen, und hatte dort viele neue Freunde gefunden. Einer davon war ein ebenso Filmverrückter wie ich. Als ich ihm eines Tages die Trilogie zeigte und von einem möglichen vierten Teil schwadronierte, war er sofort Feuer und Flamme. Ich hatte mir einige Monate zuvor tatsächlich mehr zum Spaß bereits eine Story ausgedacht. Die Handlung sah vor, dass QT, der am Ende von Teil drei tot in Jörgs Flur liegt, von Polizei und FBI untersucht und anschließend in die USA verschifft wird. Dort überdauert er die Jahre und wird am Ende wieder aktiviert – auf der Raumstation aus „Reason“. Somit wäre die Handlung endgültig abgeschlossen und das Paradoxon perfekt. Auch in „Terminator“ und „Der dunkle Turm“ hatte es ja solche Endlosschleifen gegeben. Aus der groben Geschichte strickte ich nun ein Drehbuch und kam am Ende auf acht Seiten. Zum Vergleich: Teil 2 und 3 kommen zusammen nur auf sechs Seiten. Ich schickte es sowohl an die alte Crew als auch an meinen neuen Kumpel. Außer Martin waren alle begeistert: Er hatte kein Interesse daran, wieder mitzumachen.
Und so kam es Anfang 2004 dazu, dass sich eine Delegation von Thüringen nach Ulm aufmachte, um „Reason 4: The Past and the Future“ zu drehen, so der vollständige Titel des Films. Insgesamt zwei Drehtage wurden dieses Mal benötigt, was ein Novum in der Geschichte des „Franchise“ darstellte. Zudem sind beim vierten Teil so viele Darsteller und Locations wie nie zuvor enthalten. Das Fehlen von Martin kaschierten wir, indem einer meiner neuen Freunde mit einer Perücke und ähnlicher Bekleidung wie dieser ausgestattet wurde und ihn auf diese Weise quasi doubelte. Das verlieh dem Streifen eine zusätzliche Humorquelle, die vor allem für Insider sehr wirkungsvoll ist. Apropos Humor: Ich habe mich hier bei allem bedient, was mir selbst Spaß macht, also Monty Python, MAD oder „Scary Movie“. So ist „Reason 4“ ein wilder Ritt durch die Populärkultur, auf den ich selbst heute nach 20 Jahren noch stolz bin. Für den Soundtrack verwendeten wir einige Stücke, unter anderem „Mas que nada“. Gut, dass Luiz Henrique Rosa davon nichts mitbekommen hat.
Ohne die „Reason“-Filme wäre vieles in meinem Leben sicher anders gekommen. Durch sie wurde mein Interesse vorangetrieben, mich selbst als Filmemacher zu betätigen. Zudem bin ich seitdem auch mehrfach in großen Produktionen als Komparse aufgetreten. Und das alles nur, weil wir in der Schule ein Medium machen sollten. Die Storys von Isaac Asimov kamen später übrigens noch zu größerer Bekanntheit, als der Film „I, Robot“ mit Will Smith in die Kinos kam. Er enthält eine ganz ähnliche Geschichte wie „Reason“. Dazu kann ich nur sagen: Wir waren zuerst da, Mr. Smith!
Hinweis: Dieser Text erschien erstmals am 2. Januar 2022 auf Retrokram und wurde für die Neuveröffentlichung stark überarbeitet.